Agile Methoden in Krankenhäusern zu implementieren, erweist sich deshalb als ambitioniert, weil gewachsene Strukturen und Hierarchien von Krankenhäusern zuweilen in diametralem Gegensatz zum Kern agiler Herangehensweise stehen: „Wir planen etwa in Blöcken, die sich über zwei Wochen oder einem Monat erstrecken. So können wir auf Veränderungen reagieren.“, berichtete Agilitätsexpertin Sabina Lammert aus ihrem Projekt-Alltag. Die Zerstückelung langer Planungshorizonte in kurze Sprint-Phasen widerspricht vielem, was bisher in Krankenhäusern bisher gelebte Praxis war.
Allerdings hat ein Ereignis der letzten Monate zu einem Umdenken im Krankenhaus-Management geführt: COVID-19. Wenn empirisch abgesicherte Planbarkeit plötzlich durch exponentielles Virus-Wachstum, Materialknappheit und völlig erschöpftes Personal herausgefordert wird, so hat das im Management von Krankenhäusern auch einen Lerneffekt ausgelöst. Martin Peuker, CIO der Charité Berlin, berichtete beim DIGITAL.DIALOG 2021 davon: „Plötzlich wurden agile Themen sichtbar“, so Peuker. Innerhalb weniger Tage entwickelte sein Team eine eigene App für Mitarbeiter:innen, plötzlich musste ein Thema angegangen werden, das in Krankenhäusern bis dahin eher Exoten-Status hatte: Home Office. „Natürlich sind wir noch nicht total agil“, bekennt Peuker. Doch langsam, langsam ändert sich etwas: neue Arbeitsumfelder würden für die Mtarbeiter:innen auch der IT geschaffen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten – und ganz wichtig: es setzt sich ein Bekenntnis zu agilen Methoden durch. „Eine Person reicht nicht, Agilität muss in die DNA von Krankenhäusern übergehen, Change Management etabliert werden, um Agilität in die IT zu bringen“, so Peuker.
Agile Methoden fördern außerdem die digitale Transformation. Wie beide zusammenspielen, beschrieb Klaus-Peter Spieler, Leiter des Fachbereichs Cyber Security bei BDO: „Agilität ist die Vorgehensmethode und das strategische Ziel die Digitalisierung.“ Wie können also agile Methoden helfen, das Ziel der Digitalisierung zu erreichen? Spieler beantwortet diese Frage, das heute klassisches Projektmanagement viel zu lange dauert. Wenn während der Umsetzung neue Ereignisse und Einflüsse hinzukommen, wird der Veränderungsdruck auf das ursprüngliche Projekt zu groß. Oft ist so am Ende des Projekts die erreichte Lösung bereits nicht mehr zeitgemäß. Laut Spieler gibt es darüber hinaus noch ein Problem: Klassisches Projektmanagement ist selten dazu geeignet, dass die ganze Organisation mitlernt.
Dieser Pull-Effekt beim steten Lernen der gesamten Organisation aber ist gerade in Krankenhäusern mit vielen Hierarchie-Ebenen und komplexen Prozessen unabdingbar. Im Bereich der Medikation etwa gibt es viele Gewerke, die zusammenspielen müssen: Logistik, Lagerhaltung, Verteilung, ärztliche Expertise, Validierung. Agile Methoden könnten da helfen, den Wissens – und Verständnisstand für die Anforderungen der jeweils anderen Abteilung auf ein Niveau zu bringen.
So ähnlich formulierte es auch Anke Diehl, Digital Change Managerin der Uniklinik Essen: Man sei mit agiler Methodik eben „Teil eines Netzwerkes“ und das fördere eine neue kommunikative Basis. „Man kann nur gute Entscheidungen treffen, wenn man gut informiert ist“, so Diehl. Sie spricht aus persönlicher Erfahrung: sie hat Medizin studiert, ist Ärztin und hat ein Management-Studium absolviert. „Mir ist dieses berufsgruppenübergreifende Arbeiten immer sehr entgegen gekommen“, sagt Diehl. Sie erkennt auch einen Wandel in den Aufgaben der IT von Krankenhäusern: „Die IT ist nicht mehr dazu da, Software zu installieren, sondern trägt mit Daten zum Prozess bei“. Und dieser digitalisierte Prozess muss Ärzt:innen ebenso einbeziehen wie Krankenhaustechnik oder Patient:innen – Letztere nennt Diehl übrigens lieber Kund:innen. Und die würden übrigens auch mit ganz anderen Erwartungen das Gespräch im Krankenhaus suchen. Sie sind besser informiert und wollen das auch während ihrer Behandlung bleiben. Auch Diehl hat während der Pandemie die Erfahrung gemacht, wie rasch sich Krankenhausorganisationen verändern können. In Essen etwa informiert ein Bot jeden Morgen über die aktuellen Bestände für Schutzausrüstung.
Welche Hürden aber verorten die Teilnehmer:innen des Healthcare Digital Dialogs selbst für die agile Transformation im Krankenhaus? Eine Live-Umfrage dazu hat es ganz deutlich gezeigt: die größte Hürde ist jedenfalls nach Meinung der Teilnehmer:innen die Kommunikation, dann folgen Faktoren wie Besitzstandsdenken, Hierarchien, Zeitressourcen - oder auch das Budget.
Hier spannt sich der Bogen zu CHG-MERIDIAN: Denn agil können nicht nur Digitalisierungsprozesse selbst sein, sondern auch die Finanzierung von Krankenhäusern. „Wir versuchen uns an Zukunftsprojekten mit den Methoden der Steinzeit“, sagte Peter Krause, Head of Healthcare Sector Sales bei CHG-MERIDIAN. Steinzeit, das sind für ihn Planungshorizonte über mehrere Jahre bei der Beschaffung und Finanzierung von Krankenhaus-Technologie. Vielmehr könnten Krankenhäuser gerade mit der Digitalisierung auch agile Methoden der Finanzierung nutzen.
Grundlage aber sei immer eine Analyse der tatsächlichen Nutzung von Geräten. Bei der Finanzierung von Ultraschall-Geräten etwa würde Krause nicht länger als 48 Monate planen und sich im Vorfeld genau damit auseinandersetzen, wie viele Geräte derzeit in einem Krankenhaus im Einsatz seien, welche Geräte überhaupt genutzt und welche weniger genutzt würden. Flexiblen Finanzierungsmethoden ermöglichen außerdem, gar nicht genutzte Geräte auch rasch wieder zurückzugeben oder an andere Krankenhäuser weiterzugeben und so auch immer auf dem aktuellen Stand der Technik zu sein. „Agile Transformation“, so Krause, „ergänzt sich eben gut mit digitaler Transformation“.
Vor einem aber warnt die Agilitätsberaterin Sabina Lammert: Agilität als monolithischen, riesigen Block zu betrachten, als unveränderbares Programm – sozusagen als anti-agiles Instrument, das alles verändern soll. „Es gibt nicht so etwas wie die Agilität“. Weil unser Gehirn Veränderung eigentlich nicht mag, müssten am Anfang solcher Prozesse immer Ängste abgebaut werden, indem auch offen thematisiert wird, was bisher gut und was weniger gut lief. „Agile Prozesse müssen aus einem nachvollziehbaren Bedarf heraus begonnen werden und nicht aus purer Veränderungslust“, so Lammert.